Hann. Münden (25.000 EW) setzt in der Fachwerktriennale 2015 auf die Verstetigung und Vertiefung des bürgerschaftlichen Engagements. Hierbei sollen die offensichtlichen Erfolge mit dem etablierten Event DenkmalKunst und die realisierten Fachwerksanierungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Leerstand und Sanierungsrückstau noch immer an der Substanz des herausragenden Fachwerkensemble zehren.
In Form von 4 Akten werden in der Fachwerktriennale 2015 die Aktionen und Erfahrungen der Mündener Fachwerkaktivisten thematisiert.
In einer Abschlusspräsentation sollen die Ergebnisse gebündelt und die Übertragbarkeit auf andere Fachwerkstädte diskutiert werden.
Von Diana Wetzestein*08. Oktober 2015_Hann. Münden. Hat "Fachwerk-Aktionismus" das Zeug zum Weltkulturerbe? Diese Frage wurde als Vision nur in einem Vortrag kurz formuliert. Die Energie, die hinter Akteuren aus dem niedersächsischen Hann. Münden oder dem hessischen Felsberg steht, könnte aber durchaus eine UNESCO-Kommission vom Kulturgut des Fachwerk- oder Denkmalaktivisten überzeugen. Schließlich verleiht die UNESCO den Titel „Welterbe“ auch an immaterielle Kulturgüter, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit, Authentizität und Integrität weltbedeutend sind.
Während der gemeinsamen Fachwerk Triennale Veranstaltung im Café Aegidius in Hann. Münden wurde herausgearbeitet, warum bürgerschaftliches Engagement mitreißen und wesentlichen Einfluss auf die Stadtentwicklung nehmen kann. Hann. Mündens Bürgermeister Harald Wegener sprach darüber, dass die Stadtentwicklung außer guter Konzepte vor allem aktive Bürger brauche, die von der Kommune unterstützt werden müssen. Er konnte etwa 50 Gäste in der Aegidiuskirche begrüßen, darunter seinen Amtskollegen Volker Steinmetz aus Felsberg und die Initiatoren der Veranstaltungsreihe, Prof. Manfred Gerner, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e. V. (ADF) sowie Geschäftsführer, Dr. Dirk Richhardt.
Moderator Dr. Uwe Ferber, Projektbüro Stadt + Entwicklung aus Leipzig, erinnerte daran, dass die Triennale Veranstaltungen vor allem Stadtentwicklungspolitik seien und die Fachwerkstädte neben einer starken Bürgerschaft auch große Flexibilität innerhalb der Fördergesetzgebung brauchten. Er richtete seinen Appell an Christian Kuthe, der als Vertreter des niedersächsischen Sozial- und Bauministeriums an dieser Veranstaltung teilnahm und auch die Länder in der Arbeitsgruppe „Nationale Stadtentwicklungspolitik“ des Bundes vertritt. Kuthe zollte den innovativen Konzepten und Maßnahmen, die innerhalb der Triennalen vorangetrieben wurden, „hohe Anerkennung“, zudem kündigte er zwei neue Instrumente der Städtebaupolitik in Niedersachsen an. „Um die Zusammenarbeit mit privaten Partnern zu verstetigen und für die Kooperation mit der kommunalen Verwaltung einen rechtlichen Rahmen zu setzen, wird derzeit im Sozialministerium ein Gesetz zur Stärkung der Quartiersentwicklung durch private Initiativen erarbeitet. Das sogenannte BID-Gesetz solle noch in dieser Legislaturperiode entschieden werden und sei gerade für die Fachwerkstädte eine deutliche Unterstützung. „Durch eine Neufassung der Städtebauförderrichtlinie, wird den Kommunen erstmals die Möglichkeit gegeben, Städtebaufördermittel auch für Verfügungsfonds einzusetzen“, so Kuthe. Damit würde eine stärkere Mitwirkung der Bürger eröffnet, da die Verwendung der Mittel durch ein lokales Gremium entschieden werde.
Es liegt wohl vor allem an den Konzepten starker Bürgerinitiativen, die Politiker zu derlei Schritten bewegen. Im Vortrag „Hann. Mündener Fachwerk-Aktivismus“ präsentierten Prof. Birgit Franz, von der HWAK Hildesheim-Holzminden-Göttingen und Dr. Dorothee Hemme, Universität Göttingen, einen interessanten Dialog zwischen Baukultur und Kulturanthropologie. Die „Wissenschaft vom Denkmalaktivisten“ stand hierbei im Focus des Dialogs, der eindrucksvoll und emotional deutlich machte, wie der Denkmalaktivist Bernd Demandt innerhalb von Hann. Münden einen Perspektivwechsel in der Bürgerschaft erreichte. Er habe die Gesellschaft durch seine Aktionen gestört und das Problem „vergesellschaftet“, wie die Wissenschaftlerinnen sagten.
Vom Kauf und Restaurierung historischer Fachwerkbauten, über die Installation des beliebten Denkmalkunst-Kunstdenkmal Festivals, bis hin zum Kauf und der Umnutzung einer Kirche zum Café, wirbelte Demandt in den letzten 15 Jahren bereits viel "Lehmstaub" in der Stadt auf. Die Störungen gipfelten bislang in der Gründung der Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt e. G., dem waghalsigen Bauvorhaben 9x24, einer Fachwerksanierung innerhalb von neun Tagen, sowie dem dafür gegründeten Förderverein, dem Kunstnetz, dem Fachwerk-Stammtisch, einem Trauermarsch für gefährdete Fachwerkimmobilien und dem Zusammenschluss von Bürgerinitiativen aus Hessen, Niedersachsen und Thüringen, im BürgerWerk. „Hier wurde barrierefrei gedacht und gehandelt“, sagte Dorothee Hemme. „Mut und Kühnheit eines einzelnen, führten zu einer Beteiligungskultur, deren Dynamik zeigt, dass die Bürger fähig sind zu gestalten“, so Prof. Birgit Franz. Dass die gemeinsame Arbeit verschiedener Aktivisten zusammenschweißt, hat sie selbst erlebt, weil auch sie an der Baustelle in der Speckstraße beim Projekt 9x24 mit dabei war, um es zu erleben.
Nach der Gründung des Fachwerk Fünfecks könne das erfolgreiche Konzept des Denkmalkunstfestivals in die vier Partnerstädte Duderstadt, Einbeck, Northeim und Osterode übertragen werden, auch das führt zum Denkmalaktivisten Bernd Demandt zurück, der loszog, um Denkmale zu retten und dabei, ganz nebenbei, eine neue Bürgerkultur schuf. Weil er Menschen überzeugen konnte. „Es ist der Wert dieser Überzeugung, der den Erfolg ausmacht“, war das Resümee von Prof. Birgit Franz. Das Genossenschaftsmodell sei bereits bei der UNESCO eingereicht worden, berichtet Dorothee Hemme. „Den Fachwerk-Aktionismus irgendwann auf der Welterbeliste zu sehen, ist meine Vision“, sagte sie.
Der Denkmalaktivist äußerte sich wie immer bescheiden zu seinem Erfolg. „Ich dachte, hier läuft etwas falsch in der Stadt. Mich haben die vom Verfall bedrohten Denkmale gestört“, sagte er. Der Denkmalpfleger Burkhard Klapp machte deutlich, dass die Denkmalpflege Stadtentwicklung sei und gleichdenkende Partner wie Demandt brauche. Die Denkmalpflege und Bauaufsicht verstehe er als Genehmigungsbehörde, die dafür da sei, etwas möglich zu machen, so Klapp. „Ohne die Initiativen von Bernd Demandt gäbe es vielleicht auch kein Fachwerk Fünfeck“, spekulierte er.
Anna Ulrichs, Managerin des Fachwerk Fünfecks, freuen derlei Erfolge in ihrer Destination. Sie wolle vor allem herausfinden, was die Region noch braucht und was übertragbar ist. Ihr erstes Projekt „Magistrale der Baukultur in Einbeck“ ,setzt am 5. November in einer Abendveranstaltung ebenfalls auf eine Bürgerbeteiligung bereits während der Planungsphase.
Für Felsberg wies Friedwart Vogel, Vorsitzender der Gemeindenützlichen Genossenschaft Felsberg e. G. (Gegefe) auf das Darlehnsmodell „Leih deiner Altstadt Geld“ hin. In Zusammenarbeit mit der Gegefe sollte eine Internetplattform geschaffen werden, über die Darlehnsverträge für die Fachwerk-Sanierung abgerufen werden können. Dort sollen Bürger ihre Sparguthaben als Darlehn für Fachwerksanierung zur Verfügung stellen. Eine Kombination dieses Darlehnsmodells mit einem Crowdfunding wäre ebenfalls denkbar, so Vogel.
Bürgermeister Volker Steinmetz wies darauf hin, dass Felsberg aus dem KfW-Programm „Zukunft im Quartier“ Gelder sichern wolle und diese als zinsfreie Darlehn für Altbausanierung weitergeben wolle. Er nehme aus der Mündener Triennale Veranstaltung, aber auch aus Melsungen und Homberg (Efze) viele konkrete Projekte mit in seine Stadt, die für Bürger und Kommunalpolitiker gleichermaßen interessant seien, so Steinmetz. Eine Chance für seine Stadt sehe er auch in bei der Zuwanderung durch Flüchtlinge, deren Integration sich auf die Stadtentwicklung auswirke.
Dass die Zuwanderung die massiven Auswirkungen des demografischen Wandels in den historischen Fachwerkstädten aufhalten könnten, wird längst in den Mitgliederstädten der ADF diskutiert und an die Politik mit konkreten Forderungen herangetragen. Leerstände müssen aber erst einmal für die neue Nutzung als Miet- oder Wohneigentum vorbereitet werden, hier ist die Landespolitik gefragt. „Viele Fachwerkimmobilien in den historischen Altstädten sind mit hohen Schulden belastet. Im Erbfall fallen diese immer öfter dem Land zu“, so Prof. Manfred Gerner. Die dann schuldenfreie Fachwerk-Immobilie könnte durch Bürgergenossenschaftsmodelle wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden, so der Präsident der ADF, der mitteilte, dass diese Idee bereits als Projekt im Bundesbauministerium in Berlin eingereicht worden sei. So könnte aus der Not eine notwendige Bürgerkultur werden und die Wiederbelebung der Fachwerkstädte gelingen.
*Fotos unter: galerie.fachwerkagentur.de
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